Samstag, 26. November 2016

Der Tod Jesu, Carl Heinrich Graun



Seit ihrer Berliner Uraufführung 1755 zählte Carl Heinrich Grauns „empfindsame“ Passionskantate "Der Tod Jesu" auf ein Libretto Karl Wilhelm Ramlers lange Zeit zu den meistaufgeführten Werken dieses Genres. Noch bis Ende des 19. Jahrhunderts konnte sie sich im Repertoire zahlreicher Oratorienvereine und Singakademien (allen voran der Berliner Sing-Akademie) behaupten, oft gleichberechtigt neben Bachs oratorischen Passionen, die ihr in der 2. Hälfte des Jahrhunderts schließlich den Rang abliefen.

Dieses Werk hat sich nicht nur größter Beliebtheit erfreut, es muss auch genau den Vorstellungen von religiöser Musik entsprochen haben. Die Zuhörer haben sich offenbar auch mit dem Text identifiziert. Die religiösen Textaussagen deckten sich mit der Frömmigkeit des Publikums.

Es ist interessant zu erfahren, dass die Begeisterung der Zuhörer in der musikalischen Fachpresse häufig unterschlagen wurde. Die Kritiker nehmen eine ablehnende bis polemische Haltung ein. Sie äußern Mängel an religiösem Tiefgang des Textes und an musikalischer Qualität. Das Werk "steht im Ganzen auch künstlerisch unter unserer Zeit", so urteilt der Redakteur A. B. Marx von der Berliner Allgemeinen Musikalischen Zeitung (Jg. 1. 1824, 154).


Es sei ein Beispiel für "Simplizität", die dem Geschmack des einfach strukturierten Publikums entgegenkommt.
Bei einem Vergleich mit Bachs "Matthäuspassion" erscheint 1855 einem Rezensenten "Der Tod Jesu" von Graun "wie eine hübsche Dorfkirche neben dem Kölner Dom". (Neue Berliner Zeitung, Jg. 9, 1855, 134). Und Moritz Hauptmann, der Leipziger Thomaskantor und Musiktheoretiker, urteilt 1872 kritisch: "Ich kann mir soviel aus diesem Opus gar nicht machen. Ich mag eben das kraftlose weinerliche Klagen über das Leiden Christi nicht; dafür ist er doch wahrlich nicht gestorben, daß wir so schneidermäßig jammern sollen." (Euterpe 1872, 136).

Nach 1900 schenkte man Grauns Werk keine Bedeutung mehr. 1970 sendete der NDR eine Aufnahme.

Die Texte zu Grauns Passionskantate, einer freien Nachdichtung der Leidensgeschichte Jesu, schrieb Carl Wilhelm Ramler (1725-1798), Dichter und Schauspieldirektor in Berlin. Er hatte ein Textbuch geschaffen, das exemplarisch den Stil der damals aufkeimenden "Empfindsamkeit" widerspiegelt. Die "Empfindsamkeit" ist eine Geisteshaltung und literarische Geschmacksrichtung der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts. Der Begriff "empfindsam" wurde als Übersetzung des englischen ‚sentimental’ eingeführt. Gott wird gefühlsmäßig erfahren; es herrschen fromme Seelenregungen und ein Gefühlskult vor. Das Gefühl wird regelrecht genossen, wie das Mitleid, die Tränen. Deutlich wird das im Rezitativ Nr. 12, da ist von Mitleid, Wehmut und Tränen die Rede, mehrfach von Schmerz in Rez. Nr. 22. Ramler schafft einen "lyrischen Bericht" ohne "redende Personen".

Religiosität wird im Laufe des 18. Jahrhunderts von einer heilsgeschichtlichen Realität zu einer Angelegenheit des persönlichen religiösen Gefühls.

Die Choräle schrieb Carl Heinrich Graun im schlichten vierstimmigen homophonen Satz. Die Choralstrophen stammen größtenteils aus älteren Kirchenliedern. 5 Chorälen liegen altbekannte Melodien zugrunde. Grauns "Tod Jesu" beginnt mit der Choralmelodie "O Haupt voll Blut und Wunden". Der Komponist startet so mit einem Motiv der Vertrautheit. Die Zuhörer assoziieren damit auf Anhieb den Passionsgedanken.

(http://www.lieder-archiv.de/o_haupt_voll_blut_und_wunden-notenblatt_300770.html)

Der Choral Nr. 11 "Ich will von meiner Missetat zum Herren mich bekehren" ist eine Art Sündenbekenntnis, gesungen auf die bekannte Melodie "Es ist gewißlich an der Zeit" , mit der Melodie von Martin Luther.

Der Choral Nr. 15 "Ich werde dir zu Ehren alles wagen" ist die 9. Strophe des Passionsliedes "Herzliebster Jesu, was hast du verbrochen" von Johann Crüger.

Der Choral Nr. 21 "Wie herrlich ist die neue Welt" wird gesungen auf die Melodie von Philipp Nicolai "Wie schön leuchtet der Morgenstern".

Der letzte Choral in Grauns "Tod Jesu", Nr. 24 "Ihr Augen weint", wird auf die Melodie des alten Passionsliedes "O Traurigkeit, o Herzeleid" gesungen.
(Quelle: http://www.studentenkantorei.de/graunkpl.htm)

Interessant:
Nach historischer Praxis werden die Choräle zu dieser Aufführung vom Publikum mitgesungen.

Note
http://imslp.org/wiki/Der_Tod_Jesu,_GraunWV_B:VII:2_(Graun,_Karl_Heinrich)

Chor Übe Files


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Video Playlist
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Video


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